Hast Du als Mama oder Papa die Vermutung, dass mit der Sprachentwicklung deines Kindes etwas nicht in Ordnung sein könnte? Hat dein Kind vielleicht erst spät zu sprechen begonnen oder spricht es generell sehr unverständlich? Oder reagiert es immer wieder völlig falsch auf etwas, das du zu ihm sagst? Vielleicht kann es sich auch Sätze, Reime oder Aufforderungen nicht merken. Oder es findet beim Sprechen die richtigen Worte nicht und bringt keine grammatikalisch richtigen Sätze zustande, obwohl andere Kinder im gleichen Alter solche Anforderungen längst spielend bewältigen?
Ramona Steiner, Stimm- und Sprachtherapeutin gewährt Einblicke in ihre Arbeit und gibt Empfehlungen, wie Eltern die Sprachentwicklung ihres Kindes günstig beeinflussen können.
Welche Sprachschwierigkeiten gibt es?
Vier unterschiedliche Bereiche der Sprache können von Störungen betroffen sein:
(a) Lautebene:
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Aussprachefehler stellen die häufigste Sprachstörung dar. Die betroffenen Kinder bilden einen oder mehrere Laute falsch. Meist handelt es sich um die Laute „s“, „sch“, „ch“, „r“ oder „k“.
- Eine Störung der Aussprache liegt ebenfalls vor, wenn bestimmte Laute immer oder nur in Kombination mit anderen Lauten ausgelassen werden. Diese Kinder sagen beispielsweise statt „Schnuller“ immer „Nuller“.
- Manche Kinder ersetzen bestimmte Laute regelhaft durch andere und sprechen zum Beispiel statt einem „r“ immer ein „l“.
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Zu Beginn der Sprachentwicklung sind gewisse Aussprachefehler völlig normal, sollten aber behandelt werden, wenn sie auch im Kindergartenalter noch fortbestehen oder wenn es sich um Fehler handelt, die im Rahmen der normalen Sprachentwicklung nicht vorkommen.
(b) Wortschatz:
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Kinder mit eingeschränktem Wortschatz wissen oftmals nicht die richtige Bezeichnung für verschiedene Dinge, die sie eigentlich kennen müssten. Benennt jemand den Gegenstand, wird häufig klar, dass der Begriff eigentlich bekannt ist.
- Oftmals sprechen sie von einem „Dingsda“ oder benutzen ähnliche Ersatzwörter oder ein bekanntes Wort (z.B. Auto für Lastwagen).
(c) Sprachverständnis:
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Ein vermindertes Sprachverständnis äußert sich darin, dass ein Kind Wörter und Sätze nicht versteht, die es aufgrund seines Alters kennen sollte.
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Manche betroffenen Kinder versuchen diese Schwäche zu verheimlichen, indem sie probieren, nur aus der Situation heraus den Inhalt des Gesprochenen zu erschließen.
(d) Satzbau und Grammatik:
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Die betroffenen Kinder wenden grammatikalische Regeln nicht oder nicht richtig an, weshalb diese Störung auch als Dysgrammatismus bezeichnet wird.
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Sie lassen Wörter oder ganze Satzteile aus, bilden Mehrzahl („die Hünde“) oder Vergangenheitsformen („Ich hang an der Stange“) falsch, verwechseln männliche und weibliche Form („der Haus“), verwenden nicht die richtigen Wortendungen („du gehe in die Schule“) oder beachten nicht die richtige Reihenfolge der Wörter im Satz.
Neben der Sprache können das Sprechen, die Stimmqualität oder auch die Basisfähigkeiten (prälinguistischen Funktionen) für das Sprechen auffällig sein. Letzteres meint Funktionen wie Saugen, Kauen/ Beißen, Atmen und Schlucken. Gerade diese Funktionsbereiche sind immer mehr von Störungen betroffen. Es wird oft von myofunktionellen Störungen gesprochen. Sie hängen auch eng mit der Aussprache zusammen. So kommen häufiger Kinder mit offenem Mund, gestörter Zungenruhelage, falschem Schluckverhalten, Zungenvorschub beim Sprechen (meist in Kombination mit Lispeln) und gestörter Nasenatmung in die logopädische Praxis.
Woran erkenne ich Sprachschwierigkeiten beim meinem Kind?
- Mein Kind kann einen oder mehrere Laute nicht korrekt aussprechen. Es spricht z.B. kein „sch“ oder kein „r“.
- Mein Kind ersetzt Laute gegeneinander. Es spricht z.B. kein „k“ und ersetzt den Laut durch das „t“.
- Mein Kind spricht grundsätzlich unverständlich. Dies ist auch schon im Kindergarten aufgefallen.
- Mein Kind hat öfters den Mund offen. Manchmal tritt auch Speichel aus. Oder mein Kind hat häufig die Zunge draußen.
- Mein Kind kann sich noch nicht so gut ausdrücken. Es kennt noch nicht so viele Wörter wie andere Kinder im selben Alter.
- Mein Kind kennt zwar viele Wörter, aber die Kombination zu Sätzen stimmt nicht ganz. Die Sätze klingen nicht richtig.
- Mein Kind ist schon 3 Jahre und spricht noch fast gar nichts.
- Mein Kind bleibt häufig hängen beim Sprechen und verwendet oft Doppelsilben (z.B. To-to-tomate).
Da Sprache immer im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Kontakten verwendet wird, können sich Ängste, Aggressionen oder Unsicherheiten auch auf sprachliche Fähigkeiten auswirken. Zum Beispiel bei Trennungskindern ist es öfter zu beobachten, dass diese solche Störungen haben, wo sie Laute vertauschen.
Warum hat mein Kind Schwierigkeiten beim Sprechen?
Meist handelt es sich nie um eine einzelne Ursache, sondern immer um einen multikausalen Zusammenhang, der zu Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung führt.
Es lassen sich vier Ursachengruppen zusammenfassen: organische, psychische Ursachen, unzureichende Lernmöglichkeiten und erbliche Ursachen. Näheres dazu könnt ihr hier nachlesen.
Die Zweisprachigkeit an sich ist nicht unbedingt eine Ursache für eine Sprachstörung. Sie kann Probleme verstärken, die ein Kind auch gehabt hätte, wenn es nur eine Sprache erlernt hätte.
Wie kann ich meinem Kind helfen?
Unabhängig davon, welche Sprachschwierigkeiten dein Kind hat, gibt es einige Dinge, die Du im alltäglichen Umgang mit deinem Kind tun kannst, um ihm zu helfen:
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Sprich langsam, deutlich und in kurzen, klaren Sätzen mit deinem Kind und schau es dabei an, damit es die richtige Aussprache beobachten kann. Wiederhole häufig, was du sagst, damit dein Kind neue Begriffe besser erfassen kann.
- Erläutere deinem Kind so oft wie möglich dein Tun in einfachen Sätzen: “Ich wasche das Auto.” – “Ich hole die Zeitung.” Man nennt das auch handlungsbegleitendes Sprechen.
- Lob dein Kind für richtig gesprochene Laute, Wörter und Sätze. Vergiss dabei aber nicht, dass der Inhalt des Gesprochenen im Mittelpunkt steht. Wenn du nur noch auf Sprachfehler oder richtig gesprochene Wörter achtest, kann dein Kind das Gefühl bekommen, dass die eigentliche Mitteilung dich nicht interessiert.
- Korrigiere dein Kind nicht, indem du fehlerhafte Sätze beanstandest, sondern wiederhole den falschen Satz einfach richtig: “Mama söne Tleid.” – “Ja, Mama hat ein schönes Kleid.” Tadeln oder Kritisieren hilft deinem Kind nicht weiter, es frustriert es nur.
- Fordere dein Kind nicht auf, einen Laut oder ein Wort richtig zu sprechen. Kinder tun erstens ungern etwas nach Aufforderung und zweitens können sie es meist nicht anders, wenn sie es falsch sprechen und eine Störung vorliegt.
- Hör gut zu und lass dein Kind ausreden, auch wenn es langsam spricht oder sich unbeholfen ausdrückt.
- Vermeide Reizüberflutung und setze dein Kind keiner akustischen Dauerberieselung aus. Mit ausgewählten Hörspiel- und Musikkassetten dagegen kannst du dein Kind sprachlich fördern und sinnvoll beschäftigen.
- Du hilfst deinem Kind dabei, seinen Wortschatz zu erweitern, indem du mit ihm gemeinsam Bilderbücher anschaust und darüber sprichst, bei gemeinsamen Spielen – wie etwa Memory – die abgebildeten Gegenstände benennst oder einfach gemeinsam mit deinem Kind die Vorgänge um sich herum beobachtest und darüber sprichst.
- Nimm dir Zeit für dein Kind und rede mit ihm.
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Sprich mit deinem Kind über seine Erlebnisse und hilf ihm durch geeignete Nachfragen und Zusammenfassungen, Erzählungen so aufzubauen, dass andere sie nachvollziehen können.
Welche Förder- und Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Generell solltest Du immer dann, wenn Du den Verdacht hast, dass etwas mit der Sprachentwicklung Deines Kindes nicht in Ordnung ist, ärztlichen Rat einholen. Es kann auch sein, dass dir selber bis jetzt nichts aufgefallen ist, aber du von dem Arzt oder der Erzieherin angesprochen wurdest. Gerade Erzieherinnen haben eine gute Einschätzung, weil sie dein Kind fast täglich sehen und mit Gleichaltrigen vergleichen können. Als Elternteil hat man sich in die Sprache des Kindes eingehört und da kann es schon vorkommen, dass einem Auffälligkeiten entgehen. Die naheliegendste Möglichkeit ist, als Erstes den Kinderarzt aufzusuchen. Er hat die bisherige Entwicklung deines Kindes im Verlauf der Vorsorgeuntersuchungen verfolgt und kann von daher einschätzen, ob sich dein Kind im Allgemeinen gut entwickelt. Doch um spezielle Probleme der Sprachentwicklung zu erkennen, sind genauere Untersuchungen, wie eine HNO-ärztliche Diagnose, ein audiologischer und ein logopädischer Befund, anzuraten. Deshalb kannst du auch gerne in der Logopädiepraxis anrufen. Einige Logopädiepraxen bieten auch einen unverbindlichen Termin an, um dein Kind sprachlich anschauen zu lassen.
Grundsätzlich gilt: Je früher eine Sprech- oder Sprachstörung erkannt wird, desto besser kann Deinem Kind geholfen werden. Auch wenn andere Ursachen, wie eine Hörschädigung oder eine angeborene Fehlbildung beispielsweise dafür verantwortlich sind, dass dein Kind nicht spricht, ist Früherkennung wichtig. Oftmals reicht schon eine kurze Intervalltherapie um dem Kind auf die Sprünge zu helfen, so dass es dann aus eigener Kraft weitere Entwicklungsschritte vollzieht.
Wenn die Ursachen, warum dein Kind nicht spricht, geklärt sind, kann die passende Behandlung beginnen. Diese wird zum Beispiel von einem Logopäden, einem Sprachheilpädagogen oder einem Psychologen durchgeführt. Je früher dein Kind gefördert wird, desto besser sind die Erfolgschancen. Der Arzt oder der behandelnde Therapeut wird mit Dir besprechen, wie die Behandlung Deines Kindes, das nicht spricht, aussehen wird und ob Du selbst die Therapie durch Übungen zuhause unterstützen kannst.
Logopädische Behandlung für Kinder
Näheres dazu kannst du hier nachlesen.
Buchtipp:
- Rita Steininger (2004): Wie Kinder richtig sprechen lernen. Sprachförderung – ein Wegweiser für Eltern. Verlag Klett-Cotta.
- Ulla Beushausen (2015): Sprachförderung: Ein Ratgeber für Eltern (Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute)
Die Expertin:
Ramona Steiner ist Inhaberin der Praxis für Sprach- und Stimmtherapeutin in Freilassing. Sie und ihr Team behandeln alle Formen von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen bei Kindern und Erwachsenen. Dazu gehören unter anderem: Aussprachestörungen, eingeschränkter Wortschatz, Dysgrammatismus, auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen, myofunktionelle Störungen, Stimmstörungen, Stottern & Poltern, Aphasie, Dysarthrie, Schluckstörungen (Dysphagien), sowie Sprachabbau bei Demenz.
Kontaktdaten:
Ramona Steiner
Internet: www.sprachund-stimmtherapie-steiner.de
Facebook: Sprach- und Stimmtherapie Steiner
Titelbild: aus Privatarchiv von Ramona Steiner